Tanz in den Mai: Mit Mutter Natur
Seelenschau 05/23: Wenn die Hexen fliegen
(Von Thomas Lambert Schöberl – Lehrer, Buchautor & Heilpraktiker)
Im Wonnemonat Mai feiert die Natur ihr buntes Blütenkleid und lässt uns spüren, wie belebend es sein kann, Zeit im Freien zu verbringen. Mutter Natur hat ihr schönstes Gewand angelegt und lädt uns ein, mit ihr zu tanzen und zu feiern. Auch die Gemüse- und Kräuterwelt hat im Mai einiges zu bieten. Zum Beispiel können wir uns an Bärlauch, Kerbel, Petersilie und Waldmeister erfreuen. Diese Kräuter wachsen wild und können leicht in der Natur gesammelt werden. Mit ihrem intensiven Geschmack sind sie nicht nur eine Bereicherung für unsere Küche, sondern ebenso für unser Wohlbefinden, denn viele haben eine heilende Wirkung auf Körper und Seele.
Auch Gemüse hat im Mai Hochsaison. Brokkoli, Erbsen, Karotten und Kohlrabi gehören zu den Gemüsesorten, die jetzt frisch geerntet werden können. Sie sind nicht nur gesund, sondern auch vielseitig in der Küche verwendbar. Denn wer sich ausgewogen und gesund ernährt, tut gleichermaßen etwas für seine Psyche. Nach der Fastenzeit gilt es nun, den Körper mit vielen frischen Vitaminen und Ballaststoffen zu versorgen. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass eine ballaststoffreiche Ernährung dazu beitragen kann, eine gesunde Darmflora zu fördern. Ballaststoffe sind unverdauliche Nahrungsbestandteile, die den Darm passieren, ohne vollständig abgebaut zu werden. Sie fördern das Wachstum von nützlichen Darmbakterien. Die sogenannte Darm-Hirn-Achse ist ein komplexes Netzwerk von Signalen, die zwischen dem Darm und dem Gehirn ausgetauscht werden. Die gesunden Bakterien im Darm produzieren Bau- steine für wichtige Überträgerstoffe im Gehirn (Neurotransmitter) wie Serotonin und Dopamin, die eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Stimmung und des Verhaltens spielen. Eine gesunde Darmflora trägt dazu bei, Entzündungen im Körper zu reduzieren, die mit Depressionen und Angststörungen in Verbindung gebracht werden. Zudem hilft sie, den Blutzuckerspiegel stabil zu halten, was wiederum Auswirkungen auf die geistige Gesundheit haben kann. Ein instabiler Blutzucker führt oft zu Stimmungsschwankungen, innerer Unruhe, Erschöpfung und Konzentrationsproblemen. Eine ballaststoffreiche, vorzugsweise vegetarische Ernährung scheint folglich ein Schlüssel zu einem gesunden Körper, einem frischen Geist und einer wachen Seele zu sein. Also los, packen wir den Einkaufskorb voll mit frischem Obst und Gemüse und machen unseren Darm und unser Gehirn glücklich!
Auch aus psychologischer Sicht kann der Mai eine wertvolle Zeit sein. Denn die Natur erwacht nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Die Tage werden länger, die Sonne scheint heller und wärmer. Eine Studie hat gezeigt, dass Sonnenlicht die Ausschüttung von Serotonin im Gehirn stimuliert, was uns glücklicher und entspannter macht. Es lohnt sich also, im Mai Zeit im Freien zu verbringen und die Sonne auf der Haut zu spüren. Dazu empfahl die Äbtissin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098 – 1179) ein wahrhaftig königliches Getränk, das seit Jahrhunderten als Medizin, Entgiftungs- und Stärkungsmittel, das schon bei den Germanen und Kelten angewendet wurde. In der Originalrezeptur wird der Maitrunk mit Wermut (Artemisia absinthium) zubereitet. Der Wermut gibt dem Maitrunk nicht nur seinen bitteren Geschmack, sondern enthält auch Bitterstoffe, die sich positiv auf die Verdauung auswirken können. Allerdings ist zu beachten, dass Wermut auch Thujon enthält, eine psychoaktive Substanz, die in größeren Mengen giftig sein kann. Aus diesem Grund sollte der Maitrunk nicht in großen Mengen und nicht über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. In der modernen Naturheilkunde wird daher oft auf andere Kräuter wie Enzian oder Löwenzahn zurückgegriffen, um eine ähnliche Wirkung zu erzielen.
Und so geht’s: 30 Gramm Wermutblätter und -stängel sowie eine Galgant- und Ingwerwurzel grob zerkleinern und zu- sammen mit Zimt, Nelken und Karda- mom in einen Topf geben. Einen Liter trockenen Weißwein hinzufügen und das Gemisch aufkochen lassen. Die Hitze reduzieren und das Ganze etwa 15 Minuten langsam köcheln lassen. Vom Herd nehmen und abkühlen lassen, bis der Maitrunk lauwarm ist. Durch ein Sieb gießen und Honig (2 EL) einrühren. In eine sterile Flasche füllen und im Kühlschrank aufbewahren. Dieser Maitrunk kann als Aperitif vor dem Essen oder als Verdauungshilfe nach dem Essen eingenommen werden. Die enthaltenen Bitterstoffe können dabei helfen, die Verdauung anzuregen und Blähungen sowie Völlegefühl zu reduzieren. Zudem entfalten die Gewürze und Kräuter eine wärmende und entspannende Wirkung, die insbesondere an kalten Tagen angenehm sind, wenn die Eisheiligen noch einmal übers Land fegen.
Walpurgisnacht –das Spektakel der Hexen
Überall sprießt es und die Natur explodiert förmlich in bunten Farben und Düften. Doch der Mai hat auch eine dunkle Seite – die Walpurgisnacht. Diese Nacht hat die Menschen schon immer fasziniert und beängstigt zugleich. In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai treffen sich die vermeintlichen Hexen, Geister und Dämonen auf dem Brocken im Harz, um ein wildes Fest zu feiern. Doch was hat es mit diesem Brauch auf sich? Ursprünglich wurden Freudenfeuer entzündet, um den Frühling zu begrüßen, und die Menschen tanzten und sprangen vor Freude durch die Flam- men. Mit Beginn der Christianisierung, nach dem Sieg Karls des Großen (747 o. 748–814) über die Sachsen, wurden diese Feste dann verboten. Wer weiterhin die Feste in der alten Form feierte, wurde als dem Teufel hörig und als Hexe bezeichnet. Die Kirche verbreitete das Gerücht, dass in dieser Nacht Hexen ausfliegen, um sich auf dem Blocksberg zu versammeln und dort auf die Ankunft des Teufels zu warten. In der christlichen Tradition wurde die Nacht nach der heiligen Walpurga benannt, die für ihren Kampf gegen Dämonen bekannt war. So vermischten sich alte und neue Bräuche zu einem bunten Fest. Auch die Kunst hat sich von diesem Brauch inspirieren lassen. Schon in der Renaissance gab es Bilder von Hexentänzen und dämonischen Gestalten. Ein Beispiel dafür sind die berühmten Gemälde von Hans Baldung (1484 o. 1485–1545), in denen es vor Hexen und Geisterwesen nur so wimmelt. Doch nicht nur die Kunst, sondern auch die Psychoanalyse hat sich mit diesem Thema beschäftigt. Für Sigmund Freud (1846 – 1939) symbolisierte die Walpurgisnacht den Wunsch nach sexueller Befreiung und Abenteuer. Heutzutage wird die Walpurgisnacht oft als große Party gefeiert, doch in Anlehnung an Johann Wolfgang von Goethes „Faust“ sind es immer noch die Hexen, die mit dem Teufel im Bunde stehen.
Der Maibaum – Fruchtbarkeit und Wachstum
Doch was wäre der Mai ohne sein be- kanntestes Fest – das Maibaumfest. Der Maibaum selbst symbolisiert die Vereinigung von Sonne und Erde, von männlich und weiblich, und erinnert uns daran, dass es in der Natur wie auch in unserem eigenen Leben immer eine gesunde Balance geben sollte. Stellen Sie sich vor, wie sich die Menschen seit Jahrhunderten im Mai versammeln, um den Frühling zu begrüßen und gemeinsam den Maibaum zu errichten, begleitet von fröhlichen Tänzen und dem Klang von Trommeln und Flöten. Und wer weiß, vielleicht sind in dieser Nacht auch die Geister der Naturwesen und Waldgeister anwesend, um mit uns zu feiern und ihre Kräfte zu teilen. In jedem Fall ist das Maibaumfest ein magisches und mystisches Ereignis, das uns daran erinnert, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind und unsere Verbindung zur Natur und zur Gemeinschaft feiern sollten. Es ist die wirkmächtige Zeit der „grünen Kraft“ – der Kraft der Pflanzen. Hildegard von Bingen beschrieb die „grüne Kraft“ als eine universelle Lebenskraft, die in allem, was grün ist, wirkt. Sie sah darin auch eine Verbindung zwischen Menschen und Natur, da die grüne Kraft in den Pflanzen auf den Menschen übergeht. Also worauf warten Sie? Auf, auf – hinaus ins Grün!