Kräuterkunde im Zeichen des Kriegers
Seelenschau 03/23: Frühlingserwachen – der Widder
(Von Thomas Lambert Schöberl – Lehrer, Buchautor & Heilpraktiker)
In der Pflanzenheilkunde spielt die Symbolik der Mythologie und Astrologie eine wichtige Rolle. Diese alten Wissenssysteme bieten uns einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen und seine Umgebung und ermöglichen es uns, Zusammenhänge und Muster zu erkennen, die uns sonst vielleicht verborgen bleiben würden. C. G. Jung (1875 – 1961), der bekannte Psychologe und Begründer der Analytischen Psychologie, glaubte, dass Symbole unserem Unterbewusstsein entspringen und uns dabei helfen können, unser inneres Gleichgewicht und unsere Selbstverwirklichung zu erreichen.
Symbolik, Mythen und Astrologie werden oft als Wahrsagerei oder Esoterik abgetan, aber in Wirklichkeit bieten sie uns wertvolle Weisheiten. Beispiels- weise haben Studien gezeigt, dass das Betrachten von Symbolen und die Auseinandersetzung mit mythischen Geschichten dazu beitragen können, Stress und Angst zu reduzieren und das Selbstbewusstsein und das Selbstvertrauen zu stärken. Sie fördern Kreativität, emotionale Intelligenz und damit auch unsere Reifung als Charakter. Aus neurobiologischer Sicht dominiert bei der Arbeit mit Symbolen das limbische System (Gehirnabschnitt, der für die Verarbeitung von Emotionen und Erinnerungen verantwortlich ist). Ein Beispiel dafür ist die Begegnung mit Musik. Musik kann uns berühren und emotional bewegen, auch wenn wir den Liedtext nicht verstehen oder uns diesen nicht bewusst machen. Das limbische System reagiert unmittelbar. So können etwa Aromen oder Düfte, die mit bestimmten Erinnerungen oder Emotionen verbunden sind, dazu beitragen, unsere Stimmung zu verbessern oder Stress zu reduzieren. Auch die Verwendung von Farben in der Energiearbeit oder Meditation kann uns beim Fokussieren und Entspannen unterstützen. In dieser Welt der ursprünglichen Sinneseindrücke, Bilder und Sehnsüchte wurzelt das weise Wissen der Mythologie.
Das astrologische Jahr beginnt mit der Kraft des Feuers
C. G. Jung sah in den Tierkreiszeichen archetypische Symbole, die in der menschlichen Psyche verwurzelt sind und die in verschiedenen Kulturen auf ähnliche Weise interpretiert werden. Jetzt im März fängt in der Astrologie auch das neue Jahr an, da mit dem Eintritt der Sonne in das Tierkreiszeichen Widder auch der Frühling beginnt. Im Tierkreiszeichen Widder sah Jung den Archetypen des Helden, der sich neuen Herausforderungen stellt und den Mut hat, seine Ziele zu verfolgen. Daher steht der Widder für die Kraft und Energie des Feuers, die uns antreiben und uns befähigen, Neues zu kreieren. In der griechischen Mythologie ist der Widder das Tierkreiszeichen, das mit dem heldenhaften Krieger Kreios in Verbindung gebracht wird. Kreios war der Sohn des Gottes Uranos und der Göttin Gaia und wurde von seinem Vater enthauptet, als er versuchte, dessen Herrschaft zu beenden. Aus seinem Blut entstanden die Erde und der Himmel. Kreios wurde später von seinen Söhnen, den Kyklopen (auch Zyklopen), wiederbelebt und zu einem mächtigen Krieger. Man verehrte ihn als den Schützer der Musen. Um seinen Heldenmut und seine Tapferkeit zu beweisen, sandte Kreios einen Widder zum König von Theben und forderte ihn zu einem Wettkampf heraus. Der Widder trug ei- nen goldenen Flügelkranz und eine goldene Kette um seinen Hals, die Kreios selbst geschmiedet hatte. Der König von Theben nahm die Herausforderung an und schickte seinen Sohn, den Prinzen Chrysippos, um den Widder zu vernichten. Doch der Widder siegte und Chrysippos wurde getötet.

Die mythologische Geschichte vom Widder bringt die Leidenschaft und die Energie, die das Sternzeichen Widder auszeichnen, zum Ausdruck. Aus psychoanalytischer Perspektive betrachtet könnte man sagen, dass der Widder das Sternzeichen der Integration der männlichen Prinzipien ist. Es geht darum, sich von den Einflüssen der Eltern und der Gesellschaft abzugrenzen, wie Kreios es tat, als er gegen seinen Vater Uranos aufbegehrte. Es geht aber auch darum, die männlichen Prinzipien von Aktivität, Initiative und Durchsetzungsvermögen in Einklang mit den weiblichen Prinzipien von Empathie, Intuition und Kooperation zu bringen. Das überschäumende Frühlingserwachen soll sich in gesundem Maße die Hörner abstoßen.
Analogieprinzip und Signaturenlehre
Der Frühling ist eine besonders geeignete Zeit, um uns der Natur und ihren Heilkräutern zu öffnen und von ihrer Weisheit und ihren Kräften zu profitieren. In der Heilkräuterlehre gibt es seit Jahrhunderten die Idee, dass Pflanzen bestimmten Planeten und Elementen zugeordnet werden können und dass diese Zuordnungen Hinweise auf die Wirkungen der Heilkräuter geben. Diese Idee basiert auf dem Analogieprinzip, dem Gedanken, dass es Ähnlichkeiten und Verbindungen zwischen verschiedenen Dingen und Phänomenen in der Welt gibt. So könnte man z. B. argumentieren, dass ein Heilkraut, das dem Planeten Mars zugeordnet ist, aufgrund seiner tonisierenden Wirkungen dazu beitragen kann, die Energie und die Aktivität des Mars in einer Person zu unterstützen oder zu harmonisieren. Die Äbtissin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098–1179) und der Schweizer Arzt Paracelsus (1493/94 – 1541) waren beide bedeutende Persönlichkeiten in der Geschichte der Naturheilkunde, die sich in der praktischen Anwendung des Analogieprinzips sowie der Signaturenlehre verstanden.
Heilpflanzen des Frühlings: Kresse, Giersch, Bärlauch
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Kresse. Sie ist dem Planeten Mars (dem Herrscher des Widders) zugeordnet. Kresse gilt als schmerzlinderndes und belebendes Heilmittel, das auch zur Unterstüt- zung der Nierenfunktion empfohlen wird. Ein weiterer Frühlingsbote ist der Giersch (auch als Gänsefuß oder Geißfuß bekannt). Die mehrjährige Pflanze hat im März Saison und wird ebenfalls dem Mars zugeordnet. Sie wächst in feuchten und schattigen Gebieten und ist in Europa und Nordamerika verbreitet. Der Giersch wird in der traditionellen Medizin schon seit vielen Jahrhunderten erfolgreich bei Gichtleiden verzehrt. Darüber hinaus wird er auch zur Behandlung von Hautproblemen und zur Unterstützung der Atmung eingesetzt. Selbst als Küchenkraut findet er seinen Einsatz. Ideal sind seine Blätter, wenn sie gelbgrün und glänzend sind – ältere Blätter sollte man nur noch gekocht verzehren. Kaum erntet man ihn, treibt der Giersch erneut aus; so kann man das ganze Jahr über frische Blätter sammeln. Er ist ein wahrer Krieger und scheint unverwüstlich.

Ein besonders beliebtes Frühlingsgewächs ist aber der Bärlauch. Bärlauch enthält reichlich Allicin. Allicin kann den Blutdruck senken, das Immunsystem stärken und die Fähigkeit des Körpers, Infektionen zu bekämpfen, verbessern. Allicin lindert Schmerzen und hemmt Entzündungen. Einige Studien deuten sogar darauf hin, dass Allicin das Risiko von bestimmten Krebsarten wie Darmkrebs reduzieren kann. Eine Möglichkeit, frisch geernteten Giersch, Bärlauch und Kresse am Ende des Frühlings zu genießen und fürs ganze Jahr haltbar zu machen, ist ein ve- ganes Bärlauch-Giersch-Kresse-Pesto. Dazu brauchen Sie: ein Bund Giersch, ein Bund Bärlauch, eine Handvoll Kresse, eine Knoblauchzehe, eine Tasse Pinienkerne, eine Tasse gehackte Mandeln, eine Tasse Olivenöl, Salz und Pfeffer nach Belieben. Waschen Sie den Giersch und den Bärlauch gründlich, entfernen Sie die Stiele und geben Sie Giersch, Bärlauch, Kresse, Knoblauchzehe und Pinienkerne in einen Mixer. Zerkleinern Sie alles zu einem glatten Pesto und fügen Sie nach Vorliebe Olivenöl hinzu, um die gewünschte Konsistenz zu erreichen. Geben Sie dann die gehackten Mandeln hinzu und vermengen Sie alles gründlich. Würzen Sie das Pesto mit Salz und Pfeffer. Sie können das Pesto in kleine Gläser füllen und einfrieren, sodass Sie immer eine Portion davon zur Hand haben, wenn Sie sich an den Frühling erinnern wollen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen wachen, kraftvollen und gesunden Start ins Frühjahr – denn „der Seele Freude ist es, im Leibe wirksam zu sein“ (Hildegard von Bingen).