Seelenschau: Zeitenwende
Sommersturm – vom Löwen und der Jungfrau
(Von Thomas Lambert Schöberl – Lehrer, Heilpraktiker & Buchautor)
Weckt der Sommer bei den einen Lebenskraft und Selbstvertrauen, ist er für die anderen eine Zeit der Melancholie. Fehlt es uns an Achtsamkeit, so braut sich zwischen hitzigem Löwenherz und kühlem Jungfrau-Pragmatimus eine explosive Gewitterfront zusammen. Erkennen wir jedoch die inspirierende Energie der Tierkreissymbolik, könnten wir die Gunst der Stunde nutzen.
August ist Löwenzeit. Der charismatische und warmherzige Löwe ist ein majestätisches Feuerzeichen. Die Natur- heilkunde assoziiert ihn mit dem Herzen. Er ist ein standhafter Visionär. Sein begeisterndes Wesen steht für Fantasie, Integrität und Optimismus – genau das, was wir jetzt dringend brauchen.
Dieser Sommer ist anders. Der Begriff vom „Activist Burnout“ macht angesichts realpolitischer Ernüchterung zunehmend die Runde. Wo sich Aktivismus in Altruismus und Desillusionierung erschöpft, stellen wir gleichzeitig fest, dass individuelles Engagement mehr sein muss als Einsicht und Verzicht. Was wird nach der Sommerpause aus der Zeitenwende, wenn die analytische Jungfrau das Löwenherz nicht für sich gewinnen konnte?
Die letzten beiden Jahre waren eine Achterbahnfahrt. Viele von uns waren von Ängsten getrieben. Ängste sind nützlich und haben eine wichtige, natürliche Alarmfunktion. Sie sind also oft besser als ihr Ruf. Dennoch stelle ich fest, dass wir uns viele Ängste nur einreden. Nie war es einfacher, in das Hamsterrad einer pessimistischen Weltsicht zu geraten. Es braucht nur eine Dosis „Tagesthemen“ und alle Hoffnung wird im Keim erstickt. Immer wieder stelle ich staunend fest, dass die Diskrepanz zwischen den offiziellen Meldungen und meiner eigenen Wahrnehmung nicht größer sein könnte. In meinem Alltag begegnen mir überwiegend offene, herzliche und reflektierte Menschen, die ihr Herz auf der Zunge tragen, weder Kritik noch Verpflichtung scheuen und sich dabei durchaus aktueller Krisen Gewahr sind. Natürlich erreichen mich auch hin und wieder Zuschriften, die davon erzählen, dass nichts mehr zu retten und die ganze Welt verrückt geworden sei. Manche Lehrerkollegen und Eltern berichten mir, dass die Jugend von heute verwöhnt, unproduktiv oder planlos sei. Verschwörer wittern überall Verrat und verbittern an der Komplexität der Wirklichkeit. Ja, es mag schwarze Schafe, gefährliche Meinungen oder zwielichtige Informationsquellen geben. Verallgemeinerung darf nicht vom Stilmittel zur Kommunikationsform verkommen. Es gilt also, sensibel zu prüfen: Wo stehe ich in diesem Spannungsfeld des Austausches?
Den eigenen Standort überprüfen
An welchem Punkt übernehme ich unproduktive Muster, irrationale Ängste oder schlucke ich gar den Köder populistischer Hetze? Was haben die auf mich einströmenden Informationen mit meiner eigenen Wahrnehmung gemeinsam? Ja, die Welt ist für das Individuum zu komplex geworden und die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen ist allgegenwärtig. Um gesund zu bleiben und einen klaren Blick zu behalten, suche ich die Stille. Dabei geht es nicht um Rückzug oder Weltabkehr. Es geht darum, kritisch zu prüfen, welche Schwingungen auf mich hereinbrechen und ob mich die hektischen Wellen der Angst, des Hasses, der Empörung oder des Stresses mit sich reißen oder ob ich ihnen entspannt begegne und sie gar an mir verebben. Ein entscheidender Schlüssel zu nachhaltiger Heilung und ganzheitlicher Lebensführung liegt in der Fähigkeit verborgen, mit Widersprüchen produktiv umgehen zu können.
Wenn der Sturm kommt: die Angst ergründen
Wenn sich draußen der Sturm ankündigt, ist es an uns, wie wir darauf reagieren. Das Donnergrollen kann eine neue, rauschhafte Lebendigkeit in uns erwecken oder sich zu Sensationsgier, zu einer Sucht nach Drama und Krise entwickeln. Nein, aus Grenzerfahrungen erwächst nicht zwangsläufig Weisheit. Man könnte aber auch bei den ersten dunklen Wolken Haus und Hof verbarrikadieren, alle Läden schließen und sich verstecken. Immer in Sorge, dass mich der Sturm hinwegfegt – unsicher und ängstlich im eigenen Zuhause. Wir haben aber auch die Wahl, uns ins Haus zurückzuziehen, um Wolken, Blitz und Wind tief verwurzelt, still wie ein Baum zu beobachten. Dann machen sich Demut, Neugier und Faszination in uns breit und die Erkenntnis: Ein Sturm peitscht oft auch Regen übers Land.
Achten Sie also auf Ihre Reaktion – was ist berechtigter Schutz, wo beginnt Stagnation und was ist purer Affekt? Jede der genannten Optionen steht uns offen und verrät sehr viel über uns selbst. Was versteckt sich hinter unserem Verhalten? Die Angst, dass uns niemand rettet? Dass wir unseren Besitz oder gar unser Leben verlieren? Ist es die Gleichgültigkeit der anderen? Oder eine praktische Ausrede – eine Vermeidungsstrategie?
Ich denke, es ist dringend an der Zeit, den Angstmodus zu verlassen. Dass Hamsterkäufe, Notbremsen und das Wiederkäuen verpasster Chancen und gegenseitiger Vorwürfe ein Ende nehmen. Bleiben Angst oder Verbitterung unsere Treiber, werden Verdrängung und Prokrastination (Aufschieben) zum Fallstrick unserer Heilung. Echter Wandel, Fortschritt und Mut zur Vielfalt resultieren aus Inspiration. Ja, wir müssen den Sommer nutzen, um uns gegenseitig zu Inspirieren.
Inspiration – keine Nachhaltigkeit ohne Liebe
Es ist die Inspiration, die Geist (Spiritus) und Ratio (Vernunft), also Herz und Kopf, Löwe und Jungfrau, unter einen Hut bringt. Inspiration ist für mich keine New- Age-Romantik, sondern ein respektvolles Beziehungsgeschehen, das Achtsamkeit voraussetzt. Ein Reformulieren, ein Hegen und Pflegen der Dinge, die wir lieben, und ein ständiger Austausch mit unserer Umwelt. Das fordert Achtsamkeit, denn rund 50 Prozent unseres Wachzustandes verbringen wir im Modus des sogenannten „mind-wandering“. Unser „Ich“ wird also zum Produkt vieler verschiedener Tagträume und nicht gelebter Wünsche und Erfahrungen. Unser Abschweifen ist dann mit einer trügerischen Selbstüberhöhung und einer Zentrierung auf das eigene Ego verbunden.
Wenn wir die Illusion unseres „Ichs“ stetig nähren, werden wir, gemessen an der Realität im Außen, zu den ewig Enttäuschten unseres eigenen Egozentrismus. Ein ganzheitlicher Weg und nachhaltige Heilung sind damit nicht vereinbar. Das bloße Imaginieren von Handlungen und das träumerische Ausmalen machen uns nicht nur blind für unsere tatsächlichen Bedürfnisse, sondern auch empathielos für die Geschehnisse um uns herum. Problemlösung erfordert Wachheit. Sodann werden das ungenutzte Potenzial der Gegenwärtigkeit der Natur, der vergessene Zauber des Offensichtlichen und die Schlichtheit dessen, was uns so schwerzufallen scheint, zum zwingenden Gegenstand von all dem, was wir Zeitenwende nennen.
Ob Jung oder Alt – in den letzten zwei Jahren haben wir alle erfahren, welch virale Kraft die Angst entfesselt, welch tiefe Gräben und vergessene Narben sie reißt. Die viel beschworenen Erkenntnisse aus der Pandemie sind reine Theorie geblieben. Um das Ruder herumzureißen, den Sturm zu reiten, brauchen wir dringend mehr Inspiration. Weil Inspiration aber von der Liebe erzählt, von der Zähmung des Löwen durch die Jungfrau, fällt uns wie Schuppen von den Augen, wessen Kind die Weisheit ist.