Fasten: Verzicht macht frei
(Von Thomas Lambert Schöberl – Heilpraktiker, Lehrer & Buchautor)
Im Februar beginnt die Vorbereitung auf die Fastenzeit – sie ist der Beginn einer Umkehr und die Aussicht auf einen Neustart. Das naturheilkundliche Fasten spiegelt ein Medizinverständnis wider, das in einem Gleichgewicht von Welt, Mensch und Natur gründet. Zugleich fordert der Februar als die Zeit des Wassermanns geistigen Wandel und Entschlossenheit zur Verwirklichung neuer Visionen.

Essen am Tage und Fasten während der Nacht gehören ganz selbstverständlich zu unserem Lebensrhythmus. Wenn wir zu spät am Abend noch große Mengen essen, fällt uns am nächsten Morgen auf, dass uns der Appetit auf ein Frühstück fehlt. Unser Körper sendet uns damit das Zeichen, dass das für ihn notwenige nahrungsfreie Zeitintervall noch nicht beendet ist. Aus diesem Umstand leitet sich auch das englische Wort „breakfast“, das „Fastenbrechen“ ab. Wer also nachts nicht fastet, braucht auch kein „breakfast“.
Bei der Therapie der weitverbreiteten nichtalkoholischen Fettleber, der Behandlung von Verdauungsbeschwerden oder der Regulierung von Übergewicht muss ich meinen Patienten immer wieder aufs Neue erklären, wie wichtig es ist, die nächtliche Fastenperiode einzuhalten. Unserem Körper bleiben nur zehn bis zwölf Stunden während der nächtlichen Ruhe, um den Stoffwechsel zu regulieren, Zellen und Gewebe zu reparieren oder um Heilungs- bzw. Umbauprozesse in Gang zu bringen. Die dafür notwenige Energie holt er sich aus seinen Depots. So wie sich Geist und Seele während der nächtlichen Ruhe mit der Verarbeitung von individuellen Erlebnissen und Erfahrungen beschäftigen, so widmet sich unser Körper nachts der Regeneration unserer elementarsten Körperbausteine – den Zellen und Mitochondrien.
Fasten spart Energie. Nahezu 30 Prozent unseres gesamten Energieverbrauchs gehen auf Kosten der Verdauung. In modernen Laborversuchen zeigte sich, dass Mäuse, die an Krebs erkrankt waren und eine Chemotherapie erhielten, bei einer gleichzeitigen Fastenkur weniger Nebenwirkungen und höhere Therapieerfolge aufwiesen. Der Grund für dieses Ergebnis wird in der veränderten Stoffwechsellage während des Fastens vermutet. Während für gewöhnlich Zucker aus Kohlenhydraten als Energielieferant für die Körper-, aber auch Tumorzellen dient, fehlt diese Zuckerzufuhr beim Fasten. Stattdessen werden nach 13 – 16 Stunden des Fastens Ketonkörper aus den Fettdepots frei. Gesunde Zellen sind in der Lage, diese Ketonkörper bestens zu verstoffwechseln, für Krebszellen sind sie hingegen kaum verwertbar. Durch gezieltes Fasten werden also Krebszellen geschwächt. Für weitere schulmedizinisch nachweisbare Aussagen muss jedoch noch viel Forschung betrieben werden.
Einen großen Nutzen kann Fasten vor allem für Patienten mit chronischen Leiden haben. Das Geheimnis liegt im uralten Programm unserer Zellen verborgen – der Autophagie. Durch unseren unnatürlichen Lebensstil lagern sich in den Zellen unseres Körpers vermehrt Eiweißabfallprodukte an. Wenn nun beim Fasten neue Nahrungszufuhr gestoppt wird, werden die zellinternen Eiweißablagerungen neu verdaut bzw. effizient recycelt und in frische Zellstrukturen umgewandelt. Dieser Mechanismus dient als Verjüngungskur für die gesamte Zelle. Der Überfluss, in dem wir heute schwelgen, ist für die uralten Programme unseres Körpers fremd und krank machend. Fasten oder ein Mindestabstand zweier Mahlzeiten von acht Stunden ermöglicht über die bereits genannten Effekte hinaus auch eine gesunde Regulierung unseres Hormonhaushaltes.
Meist braucht es einen langen Leidensweg, bis das Fasten, also der Entschluss zum Verzicht, für den durchschnittlichen Patienten diskussionsfähig wird. Die Naturheilkunde sollte aber eigentlich nie die letzte Option eines leidenden Menschen sein, sondern immer die erste im Rahmen einer „Medizin der Prävention“, die leider noch nicht etabliert ist. Im Fasten vereinen sich alle fünf Säulen der Gesundheit nach Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897): Phytotherapie, Hydrotherapie, Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Ordnungstherapie. Wer fastet, trinkt reichlich Kräutertee, vollzieht Wechselduschen, bewegt sich an der frischen Luft, reflektiert die Umstände, die Struktur und die Beziehungen im eigenen Leben, und auch das Thema Ernährung ist während und nach der Fastenkur von großer Bedeutung.

Fasten zum Einläuten einer Lebensveränderung
Fasten ist nicht nur ein Segen für un- sere Zellen, sondern birgt auch eine spirituelle Komponente. Schon im Alten Testament spielt das Fasten eine wich- tige Rolle. David, Moses, Elias und später im Neuen Testament auch Jesus – alle haben sie sich in die Einsamkeit zurückgezogen, um 40 Tage zu fasten. Das Ziel des einsamen Fastens war die Erfahrung religiöser Bewusstseinserweiterung, die Klärung existenzieller Fragen und die Begegnung mit Gott. Für viele Menschen wird eine Fastenkur zum Initiationsritual einer Lebensveränderung, zum Beginn einer gezielten Persönlichkeitsentwicklung oder zum würdigen Rahmen einer Umkehr. Umkehren ist kein Zurück zum Alten. Es geht darum, dass wir Verirrungen und Misserfolge an- und erkennen, um dann vertrauensvoll und konsequent neue Wege zu beschreiten. Fasten bedeutet, dass wir mit alten Routinen und Glaubenssätzen brechen. Denn das Verharren in alten Mustern und Erinnerungen lässt uns erstarren, verhindert Wachstum und Heilung.
Meiner Erfahrung nach sorgt bewusster Verzicht für einen kontrastreicheren Blick auf die Welt. Dinge zu konsumieren, nur weil wir die Möglichkeit dazu haben, macht uns weder glücklicher noch werden wir uns des Wertes unserer Ressourcen wirklich bewusst. Verzicht als ein Aspekt auf dem Weg der Selbsterkenntnis muss irdisch spürbare Effekte haben und darf seinen Ansporn nicht aus einem jenseitigen Bonuspunktesystem schöpfen. Im ganzheitlichen Weltbild sind die Sphären der geistigen und seelischen Welt eng mit den Erfahrungen im körperlichen, terrestrischen Dasein verflochten. Verzicht ist kein weltabgewandter, grünideologischer Fortschrittskiller, sondern sichert auf individueller und gesellschaftlicher Ebene Flexibilität und Wachstum in einer Welt, die momentan mehr Ressourcen verbraucht, als ihr dauerhaft zur Verfügung stehen.
Und so wird eine naturheilkundliche Fastenkur immer auch zu einer Brücke in ein naturbewussteres, freieres und gesünderes Leben. Denn Natur beginnt direkt in Ihrem Zuhause, in der eigenen Wohnung und bei Ihrem täglichen Konsum. Werden Sie sich gewahr darüber, dass jeder Schluck Wasser, den Sie nehmen, jedes Ihrer Holzmöbelstücke und jedes einzelne Lebensmittel ein Teil im großen Zyklus der Natur ist. Die Konsequenz daraus ist, dass Sie selbst zur Summe der von Ihnen konsumierten Rohstoffe werden. Sie kennen ja den Spruch: „Man ist, was man isst“ – und das gilt selbstverständlich auch auf mentaler Ebene in Bezug auf unsere Glaubenssätze und die uns umgebenden zwischenmenschlichen Beziehungen.
Anhalten, innewerden, die Richtung ändern
Wenn wir fasten, dann halten wir an. Das Anhalten ist die Idee einer Umkehr. Der Beginn einer bewussten Suche, einem Nachspüren. Aber auch dann wird das Leben kein gerader Weg sein! Oft bleibt es ein Labyrinth. Das Labyrinth als Sinnbild für das menschliche Leben begegnet uns seit jeher in unzähligen Geschichten als eine Suche in der Außenwelt mit der Hoffnung, etwas Inneres zu erleben. Der Februar lädt uns also zum Loslassen ein. Loslassen bedeutet dann, Ja zu sagen – Ja zum Leben.
Weiterführende Literatur
➢T. Lambert Schöberl: Grüne Seelen. Über die Weisheit der Natur, Mankau, Murnau a. Staffelsee 2021